Fünf Kontinente

Fünf Kontinente

von Dr. Andreas Hapkemeyer, 2001

Die Großskulptur "Five Continents", die Gabriela von Habsburg im Jahr 2001 auf dem Areal der Firma Franke in Aarburg positioniert, stellt eine Fortsetzung ihrer bisherigen Arbeit dar, enthält aber zugleich neue Akzente. Im Gegensatz zu den meisten ihrer mittelgroßen und kleineren Plastiken handelt es sich hier um eine Auftragsarbeit für einen ganz bestimmten Standort. Diese Tatsache findet in mehrfacher Hinsicht ihren Niederschlag. Ihre Arbeit, die in der Regel dem typisch modernen Prinzip der autonomen Skulptur entspricht, also nur ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten zu folgen akzeptiert, setzt sich hier mit einem konkreten Ort und seinen spezifischen Gegebenheiten auseinander. Die Skulptur nimmt den Charakter einer Installation an, also eines plastischen Gebildes, das auf räumliche Gegebenheiten reagiert und mit ihnen umgeht. Darüber hinaus stellt die Künstlerin einen inhaltlichen Bezug zum Standort her. Was die Arbeit "Five Continents" also von einem sozusagen autonomen Werk unterscheidet, ist, dass die Scheu zur Begegnung mit der uns umgebenden Wirklichkeit fehlt, ja dieses Fehlen geradezu als eine conditio sine qua non erscheint. "Five Continents" steht in einer Linie mit zwei anderen Großskulpturen Gabriela von Habsburgs: derjenigen, die sie 1994 für das MCE-Büro der Voest Alpine Linz errichtete, und derjenigen für die Bugatti-Werke bei Verona, die allerdings über das Projektstadium nicht hinausgelangte.

Gabriela von Habsburg, Schülerin des Münchner Akademieprofessors Robert Jacobsen, steht ähnlich wie ihr Lehrer in der konstruktiv-geometrischen Tradition, also einer an den Beginn der Moderne zurückreichenden Richtung, welche eine Reduktion der Mittel auf geometrische Elemente und meist primäre Farben praktizierte. Dahinter stand damals die Überzeugung, dass es nur so wirklich möglich sein würde, eine von jedem Gegenstandsbezug freie und damit gänzlich eigengesetzliche Kunst entstehen zu lassen. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang frühe Meister wie Naum Gabo und Antoine Pevsner, in deren Werk sich der Autonomiegedanke mit einem beachtlichen Zukunfts-, Gesellschafts- und Technologieoptimismus verbindet. Wie die Konstruktivisten arbeitet Gabriela von Habsburg fast ausschließlich mit elementaaren Formen, die sie in die unterschiedlichsten Verhältnisse zueinander bringt. Freilich ist inzwischen die zum Teil grenzenlose Zuversicht, die sich während der frühen Moderne mit dem reinen Prinzip der Konstruktion verband, verloren gegangen. An ihre Stelle tritt im Werk von Gabriela von Habsburg ein im Bereich der Ästhetik angesiedeltes Alternieren zwischen Strenge und Grazie, zwischen Konstruktion und Lyrik.

Indem Habsburg ihren Skulpturen immer wieder assoziative Namen gibt, geht sie freilich über die spartanische Nüchternheit ihrer konstruktivistischen Vorfahren hinaus: nicht mehr bloße Nummern oder reine Phänomenbeschreibungen, sondern - wie im Fall der Firma Franke - der suggestive Name "Five Continents". Mit diesem Titel, der eine lange Reihe von Assoziationen hervorzurufen vermag, korrespondiert die Fünfteiligkeit des Werkes. Auf dem Parkplatz, der von den drei Gebäuden der Firma Franke flankiert ist und somit einen zentralen Standort darstellt, erheben sich fünf riesige Gebilde aus Stahlblech, die man mit Toren vergleichen könnte. Die Höhe der fünf Tore variiert von einer maximalen Höhe von 11 Metern bis zu einer minimalen Höhe von 5 Metern und nimmt damit Bezug auf die umliegenden Architekturen. Je nach der Perspektive, aus der man sie sieht, scheinen sie ein einziges durchgehendes Gebilde zu ergeben oder aber fünf einzelne Teile. Die Pfosten - um beim Bild des Tores zu bleiben - erheben sich nun aber keineswegs parallel und senkrecht, sondern erfahren in mehrfacher Weise eine horizontale bzw. vertikale Verschiebung, die einen intensiven skulpturalen Rhythmus entstehen lässt. Diese Rhythmisierung bricht nicht mit der strengen Linie der konstruktiven Tradition, stellt aber zweifellos eine Vitalisierung dieser Tradition dar. Auf die wichtige Rolle der Asymmetrie im Werk Gabriela von Habsburgs hat schon 1990 Helmut Schneider im Katalog der Autoren Galerie 1 München hingewiesen.

Wie bei fast allen ihren Arbeitet verzichtet Gabriela von Habsburg auch in dieser Monumentalplastik auf Volumina, die Raum verdrängen. Die Elemente, die das Tor entstehen lassen, sind eher linear als voluminös. Habsburg zielt mit ihren Gebilden, die trotz beachtlicher Größe eigentlich der Schwere entbehren, auf das Einfangen bzw. Schaffen von Raum: zwischen den gebogenen Flächen, Röhren, Stangen, Rastern oder geknickten Metallbändern entwickelt sich Raum. Er wird durch die von der Künstlerin verwendeten Elemente gleichsam gedehnt, komprimiert und verschoben.

Entscheidend ist bei dem Typ der von Gabriela von Habsburg vertretenen Plastik die materielle Beschaffenheit des Werkes. Dies gilt auch für "Five Continents". Das Stahlblech ist mit der Flex durchgehend bearbeitet, so0daß sich fast der Eindruck einer Holzmaserung ergibt. Wichtig ist der Künstlerin dabei die Lichtbrechung durch die beschliffene Oberfläche, die sich je nach Sonneneinfall verändert. Der Statik der Form und der Härte des Materials steht das Changieren der Oberflächenerscheinung entgegen. Das für die Konstruktion verwendete Stahlblech stellt einerseits ein Echo dar auf den bei den Gebäuden vorkommenden Edelstahl, andererseits eine Hommage an das von der Firma Franke weiterverarbeitete Material.

Die fünf Tore (oder wenn man will: Rahmen) weisen jeweils in eine andere Richtung: ein zwischen den Pfosten angebrachtes und in den Boden eingelassenes, spitz zulaufendes Dreick übernimmt die Funktion eines stabilisierenden Fußes, eines Richtungsweisers und zugleich eines Spiegels. An dieser Stelle schlägt die Skulptur definitiv von der Dreidimensionalität in die Zweidimensionalität der Fläche um. Dieses Hin- und Herwechseln zwischen den Dimensionen, das meist auf sehr subtile Weise erfolgt, stellt einen der wesentlichen Spannungsfaktoren bei den Werken Gabriela von Habsburgs dar. In einzelnen Fällen kommt es auch vor, dass sich ihre Plastiken ausschließlich linear im Raum entfalten. Eine andere Spielart ist die Entstehung der Skulptur ausschließlich aus einem Zusammenfügen von verschieden geneigten Flächen, die Zwischenräume und damit das Prinzip der Dreidimensionalität entstehen lassen. Eine besondere Form plastischen Arbeitens entwickelte Gabriela von Habsburg bereits Anfang der 90er-Jahre, als sie relativ kleinformatige Skulpturen auf spiegelnde Flächen stellte, die über die Spiegelung den unsichtbaren Teil des Gebildes sichtbar machten und zugleich zusätzliche Tiefe entstehen ließen. Die in der Skulptur für die Franke Werke eingesetzten dreieckigen Bodenplatten stellen eine Spielart dieses Umgangs mit Spiegelflächen dar. Mit den Toren verbindet sich aber auch - jenseits aller formalen Aspekte - eine bestimmte Symbolik, die auf die weltweite Tätigkeit der Firma Franke hinweist.

Die Künstlerin Gabriela von Habsburg ist substanziell Handwerkerin, oder besser gesagt, wie für ihren Lehrer Jacobsen gilt bei ihr die Unterscheidung zwischen "hoher" Kunst und Handwerk nicht. Auf die handwerkliche Präzision, auf die sie bei ihrer Arbeit größten Wert legt, ist mehrfach von der Künstlerin selbst und von Kritikern hingewiesen worden. Gerade mit dieser Haltung setzt sie sich auch mit dem für die Skulptur gewählten Standort in Relation. Kunst ohne Handwerk ist für sie - im Gegensatz zur heute bei vielen Künstlern vorherrschenden Auffassung nicht denkbar. Kunst kann für Gabriela von Habsburg nicht ein rein mentaler Vorgang bleiben, dessen konkrete Umsetzung an andere delegiert wird. Natürlich bedarf es bei der Entstehung einer solchen Großskulptur eines industriellen Supports, den die Firma Franke in hochprofessioneller Weise leisten konnte. Der Betrieb sorgte für das Heben, Schneiden, Walzen usw. Als reine Handarbeit eines Einzelnen ist die Realisierung einer solchen Arbeit, die ein Gesamtgewicht von über 4.000 Kilo und eine Fläche von insgesamt ca. 130 m² aufweist, überhaupt nicht denkbar. Gabriela von Habsburg partizipiert aber in allen Arbeitsphasen immer direkt an der Entstehung der Skulptur. Kunst hat für sie immer mit einer Auseinandersetzung mit dem gewählten Material und einem Einsatz des eigenen Körpers zu tun. Diese Körperlichkeit ist auch in einer Großskulptur wie "Five Continents" das Bindeglied, das alle wesentlichen Komponente ihres Werkes zusammenschweißt, und die Voraussetzung für die Wahrnehmung der Lebendigkeit, die diesen Werken trotz ihrer Rigidität auch eigen ist.

Dr. Andreas Hapkemeyer im Katalog 'Five Continents', 2001