Kommunikation in Edelstahl

Kommunikation in Edelstahl

Die bildnerische Eloquenz der Gabriela von Habsburg

Manfred Schneckenburger

Anfang der 1960er-Jahre fasste der amerikanische Bildhauer Carl Andre mit geradezu atemberaubendem Mut zur Lücke die Geschichte der Plastik 1 in den vorausgegangenen acht Dekaden zusammen: »Zuerst interessierte man sich für das Heft des Schwertes der Freiheitsstatue, dann interessierte man sich für Eiffels Gerüst, das die Statue trägt, heute interessiert man sich für Bedloe’s Island« – das ist die Manhattan vorgelagerte Insel, auf der die Freiheitsstatue steht. Andre resümiert ein knappes Jahrhundert Kunstgeschichte vom detailgenauen Naturalismus der Gründerzeit über den konstruktivistischen Umbruch bis zu den Anfängen von Land-Art und Horizontaler Plastik.

Schreibt das Werk Gabriela von Habsburgs sich, wenn überhaupt, irgendwo auf dieser Linie ein? Wenn ja, dann mit Sicherheit auf dem mehrläufigen Strang, der im konstruktivistischen Erbe wurzelt. Denn dieser umfangreiche Komplex innerhalb der Klassischen Moderne ist, solange er keiner modisch auffrisierten Neo-Reprise verfällt, noch lange nicht an sein Ende gekommen. Er lebt als sich verzweigender, erneuernder Trieb fort. Dass die Bildhauerin mit einzelnen Werken schon die nächste, auf Umwelt und Landschaft zielende Entwicklungsstufe berührt, macht ihre Arbeit auch für jüngere Suchrichtungen durchlässig. Dabei hat der missverstandene Mythos, Moderne sei gleichbedeutend mit permanenter Revolution, längst ausgedient. Die Gründerväter der Klassischen Moderne, die inzwischen verstorbenen Großväter und immer ferneren Ahnen, haben viele Fragen aufgeworfen, bleiben aber Antworten schuldig. Sie fermentieren damit die dreidimensionale Kunst bis heute. Ausbau, Erschließung, individuelle Ausprägungen und ein substanzielles eigenwilliges Œuvre treffen nach wie vor auf einen produktiven Grund.

Das Werk der Stahlbildnerin Gabriela von Habsburg gehört zu den souveränen, ebenso kräftigen wie subtilen Zeugnissen dieser Position. Es steht vor dem Horizont einer Raumplastik, wie sie seit der Zeit um 1910 zuerst Skulpturen in Bronze, dann aber vor allem in Eisen und Stahl fundiert hatten. Das archaische Eisen tendiert dabei zu einem eher zeitlosen, vor- industriellen Blick auf die Welt, während Stahl und besonders der reflexionsstarke Edelstahl oft einem technisch-utopischen Lebensgefühl Ausdruck geben.

Den Anfang machten einige osteuropäische Bildhauer in Paris: Alexander Archipenko, Jacques Lipchitz, Wladimir Tatlin, die Brüder Antoine Pevsner und Naum Gabo. Aber auch die italienischen Futuristen, Picasso 1912 und gegen 1930, gemeinsam mit Julio González, erkundeten die allseits offene Abkehr vom geschlossenen Volumen. Sie durchdrangen, durchlöcherten, durchschlangen Volumina mit dem Umraum, Archipenko, Lipchitz, Picasso emanzipierten Aushöhlungen und Aussparungen, sie gaben der Leere eigenes Gewicht. González umklammerte und umstellte den Raum, »als handle es sich um einen neuen Werkstoff, der dem Eisen gleichwertig ist«. In der nächsten Generation verband von Habsburgs Lehrer Robert Jacobsen den alten Werkstoff Eisen mit dem neuen Werkstoff Raum in präzisen Relationen. Diese schwingen ebenso geschmeidig zusammen, wie sie hart an- ecken. Übergreifende Bögen, aggressiv zugespitzte Winkel, ein perforiertes Zwischenstück umbauen und zerschneiden den Raum. Aber auch die makellos auf Hochglanz polierten metallischen Oberflächen Brancusis, die alle Schwere aufheben, scheinen auf den Edelstahlglanz der Österreicherin zu wirken. Norbert Kricke, dessen aufschießende »Raumplasti- ken« Gewicht und Masse in schiere Dynamik überführen, hat diesen Aspekt im Werk Brancusis besonders hervorgehoben. Er selbst wiederum vermittelt der Bildhauerin, auch ohne direkte Einflussnahme, Maßstäbe für die Überwindung von Bodenhaftung und Statik.

Grabe ich ein zu breitläufiges Wurzelwerk aus? Das Werk Gabriela von Habsburgs stellt ein wichtiges Bindeglied zu ei- nem der Hauptströme moderner Plastik dar. Carola GiedionWelcker hat dessen polare Ausrichtung auf die Zergliederung der nach Naum Gabo »plastischen Raumform« bis zum Raumkristall in ihrem weitsichtigen Buch über die moderne Plastik schon 1937 avisiert. 2 Erst vor dem Hintergrund die- ser fundamentalen Innovationen wird klar, worin der spezifische Beitrag von Habsburgs zu einem der großen Themen der Plastik im 20. und 21. Jahrhundert besteht: Sie erfindet neue Varianten in Grammatik und Syntax hinzu. Sie lässt die klassische konstruktivistische Linie hinter sich und schwingt sich in eine Freiheit voller Möglichkeiten und Abzweigungen. Sie hält eben kein »Senkblei in der Hand, die Augen präzise wie ein Lineal«; sie konstruiert eben nicht so, »wie der Ingenieur seine Brücke, der Mathematiker seine Formel«, 3 sondern entzieht sich den berechenbaren Schrittfolgen der Logik und formuliert ihre Kompositionen mit einer beschwingten Geläufigkeit, die ganz aus dem Machen, Korrigieren, Abwägen und Auswiegen stammt.

Die Künstlerin beschränkt sich auf ein überschaubares Formenvokabular, mit dem sie allerdings höchst flexibel und of- fen für Abweichungen vieler Art umgeht. Obgleich Dreieck, Kreis, Halbkreis, Segment und wenige andere geometrische Figuren die luftigen Arrangements bestimmen, vermeidet sie vorhersehbare Anschlüsse, Kombinationen, die einrasten und Rhythmen, die zum Gleichmaß neigen. Vorgegebene Formeln und Schemata bleiben außen vor. Es gibt, wie Hans-Joachim Müller beobachtet, weder radiale Strahlungen noch prismatische Fügungen, 4 Ecken und Kanten verweigern sich kristallinem Regelmaß. Rektanguläre Verhältnisse dienen so gut wie immer der Stabilisierung einer schwebenden Balance. Überall herrschen Asymmetrien vor.

Jede einzelne Arbeit errichtet, umfängt, expandiert und kontrahiert ihren eigenen Raum. Dieser entzieht sich der Berechenbarkeit des euklidischen und den prästabilisierten Harmonien des pythagoreischen Raums. Die Winkel und Bogenschläger folgen keiner Reißbrettzeichnung, sondern ausschließlich dem Sinn der Künstlerin für Gravitation und Gleichgewicht, einschließlich deren gezielter Störungen, stets unter behutsamer Kontrolle durch den prüfenden Augensinn. Dadurch wird unsere Wahrnehmung in ein behändes Auf und Ab der Richtungen, abgebrochenen Zirkelschläge, auffahrenden Entfaltungen einbezogen. Jede Komposition greift von einem locker geschürzten Knotenpunkt aus, run- det sich oder spitzt sich zu. Sie sitzt sicher am Boden auf,  oft streift sie ihr Auflager nur, um wieder einzubiegen oder den Verlauf in steilem Aufstieg abrupt zu wechseln und zu knicken. Manchmal verrenken die Formelemente sich zu kühnen Balanceakten. Auf diese Weise verhält jede Skulptur sich individuell und gewinnt Züge eines luftigen Capriccios, eines unvorhersehbaren Fächergebildes aus heterogenen Bewegungsimpulsen.

Dennoch haben alle Skulpturen an einem Grundgefühl teil. Keine Form steht für sich allein, jede hält entweder materiell durch Berührung, oder optisch durch Gleichläufigkeit, Überkreuzung oder geometrische Konfiguration Kontakt zu den anderen Formen. Alle Formelemente, ob flächig auf- oder eingewölbt, zum Bogen gerundet oder zum Dreieck gefügt, in Gestängen hochgestellt oder zum Blitz verkantet – alle Formelemente umschließen Raum, ziehen Raum in ihre ei- gene Dynamik, überbrücken und transportieren Raum. Wo konkave bzw. konvexe Flächen als Vorder- oder Rückseite komplementär zusammenfinden, zählt nicht das Flächenmaß, sondern das Volumen. Wo Dreiecke pfeilgleich auf solche Volumina stoßen oder sich wechselseitig durchdringen, er- scheint das nicht als Verletzung – wie etwa bei Giacometti in den 1930er-Jahren –, sondern bleibt, ohne psychische Anmutung, formbedingt und -bestimmt.

Sämtlichen Skulpturen ist ein hohes Maß an Kontaktfähigkeit zu eigen. Sie sind durchweg Ensembles im besten Sinn. Sie setzen Themen, überführen diese in Aktion und Reaktion, Spiel und Widerspiel, wie ein mehr oder weniger kontrahentes Gespräch. Ihr innerstes Wesen liegt in der lebhaften Kommunikation aller Teile untereinander, liegt in ihrem gleichermaßen beschwingten wie entschiedenen Tonfall – darf man schrei- ben: ihrer flüssigen Eloquenz? Meint Elmar Zorn, wenn er von »sprechenden Skulpturen« redet, diese zentrale Qualität?

Am eindeutigsten teilt sie sich da mit, wo zwei konträre Tonlagen zusammenstoßen. In zahlreichen Skulpturen ver- bindet sich eine scharfe, manchmal aggressive Formensprache mit schmiegsamen Kurvaturen, heftig ausbrechende Dreiecke treffen auf weich gerundete Mulden, kreuzen sie oder richten spitze Enden gegen eine Eindellung. Aber auch geschmeidig aufgebogene Plateaus können in einen gefährlichen Dorn aus- laufen, sodass eine gewisse Waffengleichheit der Formen – und Argumente – hergestellt wird. Ich will diese Analogie zu einem Streitgespräch indes umso weniger strapazieren, als Skulpturen wie Lebensspirale (2005) beide Tonlagen in einer einzigen Torsion verschmelzen. Letztlich geht es um ein Widerspiel, das weder Gewinner noch Verlierer kennt.

Ein anderer Typus verwendet vor allem Stangen und Gestänge mit leicht aus dem Lot geneigter Mittelachse. Sie dient als zentrale Stütze so gut wie als Bestandteil eines Kräftebündels aus Schrägen, die sich gegenseitig tragen. Ein prekäres Gleichgewicht scheint mehrere hochgestellte Vertikalen zu halten und vor dem Kollaps zu bewahren – eine visuelle, keine physische Gefahrenlage! Blitze zucken ineinander, Drei- ecke umspannen perforierte Zwischenstücke. Größe und Beschaffenheit suchen den Außenraum mit seinem Rasenboden. Um ein letztes Mal die Gesprächsanalogie zu bemühen: Für diesen Typus bietet sich weniger ein Dialog zweier Temperamente als ein Dialog mit lebhafter Gestikulation und unsicherem Standort an.

Gleichzeitig leiten das größere Format und die Platzierung im Außenraum zu einer Werkgruppe über, deren Maßstab weit über die Tisch-Wand-Sockel-Plastik hinausgeht. Auch diese Großplastiken bestehen, bis auf wenige Ausnahmen, aus Edelstahl. Sie unterscheiden sich von kleineren und mittleren indes vor allem darin, dass sie zu einem bestimmten Anlass entstanden. Diese Auftragswerke vermitteln ihre Botschaft durch die Überzeugungskraft einer gleichermaßen macht- vollen wie genauen Metapher. Tragen die kleineren, freien Arbeiten meist nachträglich gewählte, auf vordergründigem Augenschein beruhende Titel aus der antiken Mythologie oder anderen Quellen, so ruft die Benennung dieser gründlich durchdachten, verantwortungsvollen Botschaften konkrete politische Ereignisse oder Hoffnungen wach. Sie setzen also eine Tradition des Monuments, der Memorialkunst fort, ohne deren hinfälliges Pathos oder ideologische Indoktrination zu verlängern. Wie schwierig, ja, problematisch der Einsatz solcher Bedeutungsträger in unserer Zeit geworden ist, weiß, wer einmal in einer Jury für Kunst im öffentlichen Raum gesessen hat. Da Symbolen im politischen Bereich Verbindlichkeit wie Unschuld weitgehend abhandenkamen, hängt der Erfolg hier von Stil- und Deutungssicherheit des jeweiligen Vorschlags ab. Viele Wettbewerbe schlossen ohne Ergebnis ab. Dagegen scheint Gabriela von Habsburg die Klippen der Unverbindlichkeit oder auch Peinlichkeit mühelos zu umschiffen. Ihre Auftragsarbeiten für den öffentlichen Raum bleiben ein sicheres Standbein neben der Kür selbst gewählter Aufgaben. Deshalb umreiße ich noch vier Exempel »öffentlicher« Plastik. Ohne diesen Exkurs würde im Überblick nicht nur ein wichtiger Werkblock, sondern auch eine Perspektive über die beschriebenen Skulpturen hinaus fehlen.

Das Denkmal der Grenzöffnung, 1996 bei Sopron (Ungarn) errichtet, ist ein Meisterwerk politischer Kunst. Ein sprechendes Monument der Erinnerung, das keines Kommentars bedarf. Ein Protest gegen Herrschaft und Schrecken des Stacheldrahts. Hier sperrt er weder aus noch ein. Er zeigt wie eine Ansammlung von Wegweisern in alle vier Himmelsrichtungen. Sinnvoller, knapper lässt sich ein Symbol grausamer Gefangenschaft nicht umkehren. Das Epogonorakel am Dreiländereck zwischen Österreich, Deutschland und Tschechien bezeugt eine seltene, sehr seltene Sicherheit im Eingehen auf die unmittelbare Umgebung, eine Fähigkeit, wie selbst- verständlich Topografie und näheres Umfeld einzubeziehen und gleichzeitig, über die perspektivischen Ausläufer, auch Weite und Ferne in den Griff der Skulptur zu nehmen. Ein europäisches Pendant zur amerikanischen site sculpture, zur Plastik mit exaktem Ortsbezug? Der Anstieg pfeilartig aufeinander zulaufender Holzpfähle und stählerner Stelen wird zum Echo der schrägen Dächer. Zwei korrespondierende Kreuze auf Kirchturm und höchstem Pfahl, der schlüssige Kontrast von archaischem Holz und industriellem Stahl, deren Zuordnung zu einem kahlen Baumstamm und der metallischen Abdeckung einer Friedhofsmauer, sogar der donaumonarchistisch-familiäre Zungenschlag finden zu einer vielheitlichen Einheit unter dem Kreuz.

Einen sehr direkten Anlass, um ein Thema konkret zu fassen, bietet seit 2007 das Rosen-Denkmal im Mziuri-Park in Tbilisi (Georgien). Es entfernt sich von der gewohnten Typologie und Morphologie eines Denkmals. Seine Leitlinien orientieren sich an Wegführung, Platz, Garten, Land-Art, am politischen Horizont: Partizipation und Zivilgesellschaft. Außerdem überführt es die individuelle Gestaltung durch die Künstlerin in ein Gemeinschaftsprojekt der Professorin mit Studierenden an der Kunstakademie Tbilisi.

Worum geht es? Um eine poetisch überformte Platzanlage in Erinnerung an die unblutige Revolution junger Menschen im Jahr 2003. In einem Rondell mit einem Durchmesser von 18 Metern verteilen sich über dem Grundriss einer stilisier- ten Rose ungefähr fünfzig verschiedene Steine, vom klotzigen Findling über angeschlagene Brocken bis zum sitzgerechten Quader. Gelegenheit, sich niederzulassen, bieten allerdings sämtliche Steine. Vorher wurde unter Anleitung der Professorin diskutiert und gemeinsam an einem Konzept gefeilt: Jeder Stein vertritt seine Ursprungsregion, jeder ist einer Persönlichkeit aus der georgischen Geschichte und Gegenwart ge- widmet. Die Steine wurden jeweils von einer anderen jungen Künstlerin, einem anderen jungen Künstler bearbeitet und mit einem Namen versehen. Wasserläufe wie Blattadern unterstreichen das florale Basisornament des Steingartens. Da alle Steine zum Sitzen einladen, wuchs die »Rose« rasch zu einem Ort des lebendigen Meinungsaustausches über Wege und Irrwege zu einem freieren Georgien heran: ein Ort als Metapher, der gelebte Demokratie nicht nur abbildet, sondern in Entstehung wie Nutzung verkörpert.

Sämtliche dieser Großplastiken expandieren in eine imaginäre Weite. Sie erreichen ein ganzes Land, schlagen Brücken in drei Länder oder erinnern ein Land wie Ungarn an Grenzen, um sie zu überwinden. Das sind keine Dinosaurier ei- ner politischen Kunst, die massiv auslädt und durch schiere Wucht überwältigt. Sie wahrt, ja, setzt ihr eigenes Maß, das den Zugang humanisiert, unsere Empfindungen weitet statt einzuengen und zu unterwerfen. Gabriela von Habsburgs allseits offene Plastik steht mit ihrem transparenten Wesen am Gegenpol zur Tradition gewaltiger Nationaldenkmäler mit ihrem lastenden Pathos. Sie verhält sich thematisch genau, doch ohne ideologische Starre, zugänglich, doch ohne Anbiederung, formstark, doch ohne Formalismus.

Unsere Frage zielt auf das Thema Genauigkeit und Metapher. Dies erstreckt sich für die Österreicherin auf sehr unterschiedliche Gebiete. An die Stelle von Politik und Menschenrechten können, denkbar abgelegen, auch Konsum, wirtschaftliche Dynamik und werbewirksame Repräsentation eines Unternehmens treten. Für den Franke-Konzern, den Hersteller auf- wendiger Kaffeemaschinen in Aarburg (Schweiz), entwarf sie eine Reihe Stahlskulpturen in eindeutig kommerziellem Zusammenhang, eine Plastik also, wie sie in den USA als corporation art fest etabliert ist. Dem Auftrag, für Kaffeemaschinen und Kaffeegenuss zu werben, nähert sich die Künstlerin fast bis zur Deckungsgleichheit mit ihrer Vorgabe – ohne deshalb den Anspruch einer autonomen Skulptur zurückzustellen. Ihr Motiv »Kaffeebohne« ist zwar durch das Gewicht von 23 Tonnen und einer Höhe von ca. 10 Metern gigantisch vergrößert, das gelängte Oval mutet aber unabweisbar an eine Kaffeebohne an. Die Zergliederung in 26 Scheiben ruft den »Aufschluss, die Freisetzung der Duftstoffe« (G. v. H.) durch die Verarbeitung in der Maschine wach. Näher hätte auch Claes Oldenburg einer Lösung zwischen Abbild und verkapptem Volumen kaum kommen können. Statt der subversiven Ironie des Altmeisters wählt Gabriela von Habsburg jedoch, zusätzlich zum grotesken Gegensatz von winzigem Original und riesigem Stellvertreter, eine außergewöhnliche formale Strategie: »Durch die Aufteilung in Scheiben gewinnen die Zwischenräume an Bedeutung. Der Inhalt wird wichtig und in der äußeren Form ebenbürtig« (G. v. H.). Quod erat demonstrandum – und die Bildhauerin gewinnt dem Konzept der offenen Raumplastik eine neue Spielart ab. Steigt der Duft aus den Zwischenräumen nicht förmlich in die Nase? Wer will, kann damit assoziativ auch die sanfte Rotation und die gleitenden Wellen des Lichts verschmelzen.

Die Spannweite vom Epigonorakel über das Denkmal in Sopron und das Rosen-Denkmal in Tbilisi bis zur Kaffeebohne in Aarburg und von hier zur Vielzahl kleinerer Arbeiten ist enorm. Durchweg handelt es sich um autonome Skulpturen im aktiven Ausgleich mit dem Raum, der als gleichwertiger Partner des Stahls agiert. Mag Gabriela von Habsburg auch keine Pionierin geschichtsschwerer Grenzdurchbrüche sein: Indem sich das Gelingen in jeden einzelnen Arbeitsvorgang, jede einzelne Formentscheidung, jedes einzelne Stück Stahl verlegt, geht sie ihren eigenen, zeitgenössischen Weg zu ei- nem authentischen Werk. Unter den Künstler/-innen ihrer Generation gewinnt niemand dem verführerischen Edelstahl auf so hohem formalen Niveau so viel individuellen Ausdruck und so viel kommunikative Dichte ab.

1.  Die Begriffe Plastik und Skulptur decken seit dem fortgeschrittenen 20. Jahrhundert nicht mehr ab, was dreidimensionale bildnerische Kunst ist. Die Konstruktion von Raum aus Flächen, die Einführung des Readymade durch Duchamp, die landschaftliche wie architektonische Expansion der Kunst, die starke Fermentierung durch den Konzeptualismus – das alles entzieht sich der traditionellen Definition (Hinzufügen/Wegnehmen). Als Sammelbegriffe sind Plastik wie Skulptur unzureichend und akademisch, ja obsolet geworden. Deshalb verwende ich sie, dem allgemeinen Sprach- gebrauch folgend, als Synonyme. Auch der Begriff »Bildhauer« trifft, wörtlich genommen, nur noch selten zu. Da jedoch viele Künstler/-innen, auch wenn sie vor allem mit Schneidbrenner und Lötkolben arbeiten oder Stoffe zuschneiden, an der alten Bezeichnung festhalten und sie offenkundig gerne hören, belasse ich es dabei.
2. Carola Giedion-Welcker, Moderne Plastik, Zürich 1937.
3. Naum Gabo, Antoine Pevsner, Realistisches Manifest, Moskau 1922.
4. . Hans-Joachim Müller, The visible and the invisible that it conceals, in: Gabriela von Habsburg, Stainless steel sculptures for Franke, Aarburg 2007.