Neue Skulpturen
von Helmut Schneider, 1990
Gabriela von Habsburg hat große, in dem Raum ausgreifende und auf die jeweilige Umgebung -Innenraum oder Außenraum -bezogene Skulpturen hergestellt, asymmetrische, aus linearen und flächigen Elementen zusammengesetzte Konstruktionen, die aus wechselnden Blickwinkeln stets andere Ansichten zeigten. Von welchem Standort aus man die Skulptur betrachtete, die visuelle Einheit blieb erhalten - Formen von unterschiedlichem Eigengewicht und unterschiedlichen Materialcharakters waren so ineinandergefügt, dass der Zusammenhang des dreidimensionalen Aufbaus immer sichtbar und ablesbar war.
Die für das anschauliche Denken der Künstlerin grundlegende Vorstellung des "All-over" der formalen und räumlichen Struktur hat sich bei den kleinen Skulpturen, die in letzter Zeit entstanden sind, noch genauer präzisiert. Diese Konfigurationen, meist eine Verbindung von runden und winkligen Teilen, stehen auf Spiegeln, die durchaus als Sockel dienen, ganz unmissverständlich aber auch mit zur Skulptur gehören. In der Standfläche spiegeln sich nämlich die kompakten Formen aus Stahl, und durch diese Reflexion erweitert sich die greifbare dreidimensionale Gestalt visuell zu einer anderen, trotz der scheinbaren Verdoppelung mit der ursprünglichen nicht identischen. Die Skulptur wächst im Spiegel, die dabei entstehende Figur existiert aber nur virtuell, ist nur der Möglichkeit nach vorhanden.
Die Lage dieser handlichen Arbeiten kann der Betrachter selbst bestimmen, er kann sie drehen, wenden oder auf den Kopf stellen -und in jeder Position liefern die so sichtbaren formalen Aspekte eine Ansicht, in der die strukturelle Einheit der Skulptur erkennbar wird. Die Gesamtheit aller möglichen Ansichten (mit den jeweils dazugehörenden Spiegelbildern) ergibt dann die volle räumliche Wirklichkeit der Skulptur, die sich fortsetzt in einen Bereich, der Volumen und Tiefe nur vortäuscht. Die Skulptur und ihr Spiegelbild vereinigen sich zu einem imaginären Raum, ein Eindruck, der noch verstärkt wird durch den Auftrag transparenter Farbe auf die glatte Oberfläche des Metalls. Durch den Lichteinfall löst die Farbe die Oberfläche irisierend auf - so entsteht bei der Spiegelung der selbst schon reflektierenden Skulptur ein kaleidoskopischer Effekt, bei dem Realität und Illusion ineinander fließen.