Die Liebe zum Stahl

Die Liebe zum Stahl

von Martin Kraft, 2000

Das Grosse ist das Wichtige für Gabriela von Habsburg, aber es bedeutet ihr keinen Gegensatz zum Kleinen. Auch eine auf dem Tisch liegende Skulptur kann monumental wirken -erst recht auf einer Fotografie, welche die wahren Dimensionen nicht mehr erkennen lässt. Und zugleich kann sie am unmittelbarsten körperlich erfahren werden. Mit den Händen lassen sich Formen, Übergänge, unterschiedliche Oberflächenstrukturen und die Energie des Materials erkunden. Spielerisch wird eine neue Standfläche und mit ihr eine andere Position gesucht, so dass sich die Gesamtwirkung völlig verändert. Eine Ausstellung der Künstlerin sieht von einem Tag zum andern selten gleich aus.

Aber mit dem ganzen Körper erfassen kann man die großen Arbeiten im Außenraum, indem man sich von Standpunkt zu Standpunkt um sie bewegt, indem sie sich selber im Winde leicht bewegen - oder zu bewegen scheinen: Im durch eine differenzierte Bearbeitung der Oberflächen - die gelegentlich auch der Rüstung ausgesetzt wer- den -intensivierten Wechsel des Tageslichtes verändert sich mit der Erscheinung der Skulptur stetig ihre Aussage. Am schönsten ist es natürlich, eine Skulptur für einen bestimmten Ort zu schaffen, wo sie ihre Umgebung definiert und zugleich von ihr definiert wird -eine Wechselwirkung, die heute leider lange nicht allen Verantwortlichen für Kunst im öffentlichen Raum geläufig ist.

Mit der Platzierung der Innenskulpturen auf Metallplatten, in denen sich nicht nur sie selber, sondern gelegentlich auch in ihrer nächsten Umgebung präsentierte Bilder spiegeln, ergibt sich immerhin ein verwandter Wandel von Standpunkt und Aussage. Aussage ist hier freilich nicht im Sinne einer verbal klar fixierbaren Interpretation gemeint. Diese verbietet sich gegenüber einem Schaffen, das konsequent auf jeden Anklang an die sichtbare Wirklichkeit -der sich gelegentlich fast zwangsläufig einstellt- verzichtet.

Die Werktitel scheinen zwar als hilfreiche Einsteighilfe gelegentlich auf Inhaltliches hinzu- weisen und führen ironisch, spielerisch doch meist nur in die Irre: Das Kind muss einen Namen haben, aber schließlich seinen eigenen Weg finden, und der führt geradewegs zum Betrachter selber, der hier wie selten sonst ins Kunstwerk einbezogen bleibt, von ihm gefordert ist. Mit seinem Körper soll er es erfahren, seine eigene Geschichte in ihm erkennen oder eben auch nicht. Denn es ist in allen Deutungen offen und vollendet erst in der Begegnung mit denen, die es wahrnehmen, kann sich ihnen auch verweigern und erst in der wiederholten Begegnung erschließen. Und wenn die Künstlerin, selber aktive Musikerin, entsprechende Bezeichnungen für ihre Werke wählt, dann demonstriert sie, wie wichtig musikalische Emotionen für ihre Arbeit sind.

Diese Offenheit erklärt die Unbefangenheit der Künstlerin, ihre Plastiken auch und gerade in kunstfremder Umgebung auszustellen und damit, Schwellenängste abbauend, ein breiteres, vielleicht auch unvoreingenommeneres Publikum für sie zu interessieren, dabei sogar zur Kunst erziehen zu können. Das erklärt ihre Vorliebe für die dritte Dimension, die eine vielfältigere Wechselwirkung ermöglicht als der einsame Dialog von Betrachter und Bild an der Wand. Und es erklärt, dass ihre Plastiken meist ausgeprägte Raumplastiken sind, an und in denen der Zwischenraum oft wichtiger erscheint als das, was im materiellen Sinne "da ist". Als Bildermacherin, immer wieder, bevorzugt sie entsprechend die der Plastik nahe Collage.

Als Plastikerin hat Gabriela von Habsburg verschiedene Materialien wie Holz, Glas, Stein, die sie nach wie vor gelegentlich in ihre Arbeit einbezieht, erprobt, dann aber Stahl und Edelstahl als die ihr gemäßesten erkannt, mit denen sie sich am besten ausdrücken kann. Sie liebt die besondere Aura eines Materials, dessen leichte Wirkung -arbeiten mit ihm ist für sie wie Zeichnen im Raum -und dessen tatsächliche Massigkeit eine eigentümliche Spannung erzeugen. Zugleich ist es als Eisen zwar ein Urelement, wird seine Oberfläche am Schluss jedoch ganz vom Menschen gemacht: Die Dialektik von Kunst und Natur ist hier gleichsam auf den Punkt gebracht.

Zwar gibt es auch Holzplastiker, die ihre Figuren als Ganzes aus einem Stamm herausholen. Aber für die Künstlerin, die ihre Werke aus Einzel- teilen aufbaut, fällt da störend ins Gewicht, wenn diese gleichsam mit Fremdkörpern zusammengeschraubt oder -geleimt werden müssen. Perfektes Handwerk bedeutet für sie Grundlage ihres Schaffens - wozu auch die Entdeckung von (zumindest für die Kunst neuen) Techniken wie das Laserschweißen gehört. Präzision ist ihr um so wichtiger, als der Stahl ein erstaunliches Eigenleben, keine stets gleiche Konsistenz besitzt. Sie fräst und schweißt ihr industriell vorproduziertes Ausgangs- material zu einem Ganzen zusammen, dessen Übergangszonen zwar erkannt, aber eben als harmonischer Übergang wahrgenommen werden: Ausdruck einer Suche nach Einheit und Ganzheit, die heute besonders aktuell ist. Ausgangspunkt vieler Arbeiten ist freilich nach wie vor ein Holzmodell, das schnell wie eine Skizze entsteht, sich aber im Verlauf des Schaffensprozesses durch neue Ideen oft stark verändert.

Wenn von Aufbauen die Rede ist, stellt sich die Assoziation an den Konstruktivismus ein, welcher der Künstlerin bei allen gelegentlichen äußeren Ähnlichkeiten freilich völlig fremd ist. Gerade dieses Bekenntnis erhellt wesentliche Elemente ihres Schaffens: Spielerische Freiheit ist ihr eben so wichtig wie die Nähe zur Natur, Kommunikation ist ihr ein elementares Bedürfnis und nicht Ausdruck einer Ideologie.

Martin Kraft im Katalog 'Sprechender Stahl', 2000, ISBN 88-86870-47-7