Die Rückkehr der dritten Dimension

Die Rückkehr der dritten Dimension

von Christian von Faber-Castell, 2001

Rundgänge durch Ausstellungen, Galerien und Messen zeigen es schon seit einigen Jahren: Skulpturen und verwandte dreidimensionale plastische Kunstwerke feiern ein eindrucksvolles Comeback. Die Gründe dieser Entwicklung, die in ihrer Breite mittlerweile weit über eine blosse Modeströmung hinausgehen, sind kultur- und kunstgeschichtlich aufschlussreich.
Die wiedererwachte Freude an der dritten Dimension in der Kunst kann man nämlich als spontane, unmittelbare Antwort auf eine allzu weit getriebene sinnesferne Abstraktion in der Malerei betrachten, die ja allein schon in ihrer Beschränkung auf die zweidimensionale Malfläche eine erhebliche, wenn auch oft kaum realisierte oder aber - wie in der Trompe l'OEil-Malerei - absichtlich überspielte Abstraktion bedingt. Kunst ist ja - unter anderem - ein Genussmittel für Verstand und Seele, Geist und Gefühl, Herz und Hirn, wobei dieser Genuss natürlich in einem umfassenderen Sinn, beispielsweise auch als An- oder Aufregung, als Auseinandersetzung und sogar als Schockierung zu verstehen ist. Eine Kunst nun, die nur über den Kopf erlebbar und verstandesmässig erfassbar ist, vermittelt oft nur einen unvollständigen, unbefriedigenden Genuss.

Skulpturen dagegen sind im Wortsinne begreifbare, berührbare Kunstwerke, und wenn selbst sich ihre handgreiflich erfahrbare Sinnlichkeit mit einer so starken Abstraktion paart wie in der Kunst von Gabriela von Habsburg, dann entstehen eben dennoch nicht schwer verständlich sinnesfeindlich theoriebefrachtete Kunstwerke, sondern spannungsvolle, Hirn, Herz und Hand anregende und berührende Werke.

Stilistische Bewegungen und Gegenbewegungen sind in der Kunstgeschichte nichts Neues - man denke nur an die Wechselwirkungen von impressionistischer Auflösung und kubistischer Zerlegung, expressionistischer Übertreibung und sachlich-konstruktiver Reduktion, aber auch an die Antwort des Art déco auf den allzu üppigen Überschwang des Jugendstils.
Doch der Nachholbedarf an sinnlicher erfahrbarer Kunst, der sich in der neuen (Sinnes-)Freude an plastischen Kunstwerken spiegelt, ist noch in einem weiteren Rahmen als nur in jenem stilistischer Actio und Reactio zu sehen. Die Schöpfung einer Skulptur ist nämlich immer auch ein handwerklicher Akt, während eben dieses handwerkliche Element - das hier nicht im kunsthandwerklichen Sinne missverstanden sei - aus weiten Bereichen der Malerei der letzten Jahrzehnte immer mehr verschwand oder sogar aus puristischen Gründen absichtlich verbannt wurde.

Zu dieser handwerklich-schöpferischen Komponente der Bildhauerei gesellt sich die Wechselwirkung zwischen Material und Form als weiteres nicht oder nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit Händen, Augen und Bauch geniessbares Element. Tatsächlich ist es gerade dieses Zusammenspiel von Form und Material, das modernen und zeitgenössischen Skulpturen jene auf den ersten Blick oft unvermutete Kraft zur Anregung von Fantasie, Spekulation und Gedankenflügen verleiht, die man vielleicht noch am nächsten mit den verwandten Wirkungen der Musik vergleichen kann.

Ein vor allem für die erstaunliche Renaissance der Monumentalskulptur wichtiges Moment folgt wiederum aus der betonten, strengen Trennung von Funktion und Schmuck in vielen Bereichen der zeitgenössischen Architektur. Diese Trennung hat ihrerseits zu einer neuen Auffassung von Kunst am Bau geführt, in der diese nicht mehr bloss als Dekorationselement, sondern als konzertierender Widerpart des Baukörpers verstanden und gefordert wird Dass sich eine so ausgeprägt intellektuell-konstruktiv geprägte Künstlerin, wie es Gabriela von Habsburg ungeachtet ihrer tief reichenden Wurzeln in Geschichte und Tradition unübersehbar ist, zugleich so souverän auf der handfest handwerklichen Ebene der Stahlbearbeitung, des Schneidens, Formens und Schweissens bewegt, erscheint in diesem Zusammenhang schliesslich als sympathische Analogie zum spannungsvollen Wechselspiel zwischen den durch und durch realen Materialien ihrer Skulpturen und deren spekulativer suggestiver Kraft, die den empfänglichen Betrachter immer wieder aufs Neue zu einem Ausflug in ungekannte Raumwelten entführt ...

Christian von Faber-Castell im Katalog 'Five Continents', 2001